Rente gut, alles gut?

Von: Elisabeth Niejahr
Suddeutsche Zeitung, den 18. Februar 2001 

Das Sozialsystem muss mehr Wahlfreiheit bieten.

Die Berliner Koalitionäre ziehen sich auf ihre traditionellen Rollen zurück. Die SPD reklamiert die Zuständigkeit für den Umbau des Sozialsystems, führt nach der Übernahme des Gesundheitsressorts beide zuständigen Ministerien und wird für ihre Taten wie in alten Zeiten von den Arbeitgebern gescholten und von den Gewerkschaften gelobt. Die Grünen kümmern sich um Ökologie und Verbraucherschutz und reden weniger über Nachhaltigkeit in der Finanz- oder Sozialpolitik.

Da passt die Rentenreform, das schwierigste Projekt der rot-grünen Regierung, kaum noch ins Bild. Sie ist schließlich, trotz unzähliger Mängel im Detail, ein mutiger und überfälliger Abschied von vielem, was für Gewerkschaften und Sozialdemokraten noch vor kurzem als unantastbar galt: Ausgerechnet eine sozialdemokratisch geführte Regierung beschließt eine Teilprivatisierung der Rente, ausgerechnet Sozialdemokraten entlassen die Arbeitgeber aus der Pflicht, die Alterssicherung zur Hälfte mitzufinanzieren. Ausgerechnet Sozialdemokraten, die ja im Wahlkampf anderes versprochen haben, wollen nun auch die heutigen Rentner an den demografisch bedingten Lasten beteiligen, wenn auch nur in geringem Umfang. Die Lehre daraus: Die SPD kann den Menschen offenbar eine ganze Menge zumuten - und mehr durchsetzen, als sie sich neuerdings zutrauen mag.

Wer auf Leistungen verzichtet, muss weniger einzahlen 
Jetzt geht es darum, den Reformeifer nicht zu verlieren und die Prinzipien der Rentenreform auf die anderen Sozialsysteme anzuwenden. Auch im Gesundheitssystem, das ebenfalls unter der Überalterung der Gesellschaft leidet, wäre nötig, was künftig für die Rente gilt: mehr Wahl- und Entscheidungsfreiheit für den Einzelnen - etwa durch die Möglichkeit, auf Leistungen zu verzichten und dafür weniger einzuzahlen. Wer sollte verstehen, dass nach sozialdemokratischer Lesart zwar der Einstieg in die private Altersvorsorge geboten ist, private Zuzahlungen für Medikamente für die SPD aber nach wie vor des Teufels sind?

Mehr Wahlfreiheit wäre außerdem bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bei Pflege- oder Arbeitslosenversicherung dringend geboten. Der Versicherte könnte zum Beispiel selbst entscheiden, auf Leistungen in der ersten Woche ohne Job zu verzichten, wenn sich im Gegenzug seine Abgaben reduzieren ließen. Karenztage gegen Beitragsrabatte - auch für einige Geringverdiener wäre das ein attraktives Modell.

Natürlich stimmt der Einwand, solche Offerten nützten in erster Linie den Starken und Gesunden. Doch wer sich daran stößt, sollte bedenken, dass unsere Solidarsysteme ohnehin schlechte Instanzen für die Umverteilung sind. Schließlich zahlt längst nicht jeder in die Sozialkassen ein - für Beamte und Selbstständige zum Beispiel gilt die Beitragspflicht nicht. Und ausgerechnet die Wohlhabenden zahlen, gemessen an ihrer Leistungsfähigkeit, sehr viel weniger als die Mittelschicht, weil in allen Sozialversicherungen eine Beitragsbemessungsgrenze gilt.

Die Schweiz zeigt, wie es gehen könnte. Dort zahlen alle in das Rentensystem ein, für den proportionalen Anstieg der Beiträge gibt es keine Obergrenzen. In anderen Worten: Der Millionär steuert viel mehr zur Rentenkasse bei, als er je herausbekommt. Dafür ist die Steuerlast der Eidgenossen geringer als bei uns. Für einen Neuanfang nach Schweizer Beispiel fehlte der Politik noch die Kraft. Solange es am Mut zum großen Wurf mangelt, ist es besser, gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie die Unterstützung von Familien auch von allen finanzieren zu lassen - durch das Steuersystem. 

Die Sozialversicherungen sollten ihre Mitglieder effizienter als bisher bedienen - durch niedrigere Abgaben, Wahlmöglichkeiten und mehr Wettbewerb. Das sollte sogar einer SPD gefallen, die Gewerkschaftsnähe zeigen will.


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